Lotuslillies Maos Erbinnen

China, Yunnan Mai 2000, Cibachrom, 120cm x 140 cm


Auszug aus dem Text "Gegen das Vergessen – Den Finger an die Erinnerungswunden legen"

Für die Lotuslillies hat Beate Passow eine ethnologische Forschungsreise nach China in die Provinz Yunnan unternommen. In detektivischer Arbeit hat sie dabei zunächst über das Internet Schuhmacher gefunden, die heute noch Schuhe für Lotusfüße- so bezeichnet man euphemistisch die verkrüppelten Frauenfüße in China, fertigen. Von dort führte der Weg dann in das westliche China, wo abseits der Hauptwege noch Frauen leben, die die chinesische Tradition der bandagierten und verkleinerten Füße verkörpern. Seit der kommunistischen Revolution des Jahres 1948 ist diese absichtliche Verkrüppelung junger Mädchen und Frauen verboten, so dass das verschwinden dieser Behandlung absehbar ist. Allein die Vorstellung ist beunruhigend: dem Menschen seine natürliche Möglichkeit zu laufen durch diesen Eingriff nahezu zu stehlen. In dieser Immobilität der Frau, ihre Bindung ans Haus, ihre Verfügbarkeit drückt sich die Unterdrückung und Einschränkung aus. Im traditionellen verhaftet bedeutete diese Einschränkung der Frau durchaus zugleich auch ein Privileg - nicht auf dem Feld schwere, körperliche Arbeit leisten zu müssen. In den photographischen Aufnahmen hält Beate Passow eine Reihe dieser Frauen fest. Die winzigen, spitz zulaufenden Stoffschühchen sind zwar in jedem Bild als kleiner roter Fleck zu sehen, aber sie dominieren das Bild nicht. Indem die Künstlerin auf die entblößenden Darstellungen der nackten, verkümmerten Füße verzichtet, tritt die Frau desto klarer und stolzer ins Bild: bei einer Tíai Chi-Übung mit erhobenem Schwert, beim Billardspiel, vor den traditionellen Holzhäusern wie in der modernen Hotellobby nach westlichem Vorbild. Insbesondere gar in dem Bildnis eines alten Paares, wo Mann und Frau nebeneinander wie auf einem Thron sitzen, wird die Frage nach dem unterschiedlichen Auftreten sichtbar. Während seine Füße breit und fest auf dem Boden ruhen, scheint sie diesen nur mit den Spitzen zu berühren.

Dr. Helmut Friedel