White Pride
Cibachrome, je 190 x 124,5 cm, 2000
Ulrich Kuder
Dominant ist der Hintergrund. Der schäbige Spind mit Hemd, Aktentasche und Maske steht vor einer dröhnenden Tapete. Die Köpfe, im Original aus Stein und Bronze, abfotografiert, sind so dicht angeordnet, dass sie eine Wand bilden, eine Mauer des Schweigens. Mit geschlossenen Lippen und mit festem Blick steigen sie auf, nach oben kleiner werdend wie ein Ausschnitt aus einer unübersehbaren Menschenmenge. Die Variationen scheinen unwesentlich. Von Bild zu Bild treten die Köpfe in neuer Konstellation hervor, untereinander beliebig kommunizierend, wie von einer unsichtbaren Macht immer wieder neu arrangiert und von neuem beleuchtet, im Scheinwerferlicht scharf konturiert. Dass es Köpfe der Macht sind, bezeugt die vorgeschobene Unterlippe, auch der zusammengekniffene Mund, der verschattete, der stechende Blick, die Falte über der Nasenwurzel, die buschige Augenbraue, das angedeutete Lächeln. Auch ein Kinderkopf ist darunter sowie, unter soviel älteren Herren, der Kopf eines jüngeren Mannes mit energisch aufgepflügtem Mittelscheitel.
Manche dieser Mächtigen macht ihre Bekanntheit erkennbar, den Altkanzler Konrad Adenauer, den Schokoladenfabrikanten und Freund der Kunst Peter Ludwig, den Künstler Salvador Dalí, den Schriftsteller Ernst Jünger, vielleicht auch den Cellisten Ludwig Hölscher, der zur Zeit des Dritten Reichs die Beethoven-Interpretin Elly Ney begleitete, den Maler und Grafiker Ernst Fuchs mit seiner Davidstern-verzierten priesterlichen Künstlermütze, den Bankier Hermann Josef Abs und in ihm einen weiteren Kunstfreund. Es ergibt sich, dass Ludwig und Abs, dass Jünger und Adenauer voneinander angezogen werden. Alle sind sie ihrer Sockel enthoben; nicht einmal von Schultern werden diese Köpfe, die nichts als bloss Köpfe sind, getragen. Man muss sie, die Sockel- und Namenlosen, nicht unbedingt erkennen. Es geht offenbar nicht darum, bestimmte Personen an den Pranger zu stellen, sondern darum, sichtbar zu machen, was Macht ausmacht: das Drohende, Unheimliche, Lächerliche, Fratzenhafte.
Mit keinem der im Spind angebrachten Gegenstände sind die Hintergrundsköpfe so eng verbunden wie mit den Masken, die offenlegen, was sich hinter den Portraitköpfen verbirgt: martialische Glätte, grinsende Schadenfreude und finstere Rachsucht, die, scharfe Zähne zeigend, in satanisches Gelächter übergehen kann. Die Macht zeigt in den Masken ihr wahres Gesicht. Zugleich gehören die Masken zu den Requisiten des Spindes, der, geöffnet, sein Inneres offenlegt. Bilden die von dem 1991 neunzigjährig verstorbenen Arno Breker gefertigten Köpfe den Hintergrund, auch historisch gesehen, so erweist sich das Innere des Spindes als gegenwärtig: Gewaltbereitschaft in zeitgemässem Outfit. Kommunikationstechnisch auf dem neuesten Stand, werben heute die rechtsradikalen Parteien via Internet für ihre nationalistischen Ideen, beschwören die Gefahr der Überfremdung, der Vereinnahmung durch „Europa", schüren so den Ausländerhass und fördern die Bereitschaft zur Gewalt gegen Fremde und gesellschaftliche Randgruppen. Die Westen derer, die die Homepage für Parteien wie die FPÖ, die British National Party, Front National, Alleanza Nazionale, Falange Española und andere entwerfen, bleiben rein wie die frisch gestärkten und gebügelten weißen, in der Bildmitte ausgehängten Hemden mit ihren zu den ausgedruckten Internetseiten hin ausgestreckten Hemdsärmeln. Die Schläger, die Skinheads auf der Strasse, sind andere. Das Europazeichen, die einen Kreis bildenden Goldsterne, macht darauf aufmerksam, dass rechtsradikale Parteien europaweit verbreitet und miteinander verbunden sind, dass sie, trotz ihrer Vorbehalte gegenüber „Europa", die sich zur Hetze steigern können, doch gerade auch an der in übernationalen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen konzentrierten Macht partizipieren. Der Europagedanke bietet als solcher in der politisch-gesellschaftlichen Gegenwart keinen Schutz gegen Nationalismen und ihre Funktionalisierung zum Gewinn und zum Erhalt der Macht. Was in der schwarzen Aktentasche transportiert werden soll, kann man sich denken.
WHITE PRIDE - der Titel dieser Arbeit von Beate Passow - ist die Bezeichnung der grössten neonazistischen Link-Sammlung im Netz. Der Name ,Weißer Stolz‘ entspricht nicht der Dürftigkeit des Spinds, der sich im Zentrum der Fotos dieser Serie erhebt. Man darf davon ausgehen, dass weder die gealterten Herren im Hintergrund noch die rechtsgerichteten Parteichefs ihre Utensilien in Behältnissen dieser Art unterzubringen gewohnt sind. Solche Spinde kennt man beim Militär, möglicherweise sind sie in den Trainingscamps üblich, in denen Neonazi-Gruppen ihre paramilitärischen Übungen abzuhalten pflegen. Einen eindeutigen Hinweis auf diese Verwendung gibt die Fotoarbeit WHITE PRIDE jedoch nicht. Das metallene, in Weiß-Grau gehaltene Möbel könnte ohne weiteres auch in einem Betrieb oder Amt den Arbeitern und Angestellten zur Unterbringung ihrer Mäntel und Taschen und ihrer Arbeitskleidung dienen, ein neutraler Container, von jedermann benutzbar. Neutral wie das Medium Internet, das weltweit Informationen jedweder Art zur Verfügung stellt. Durch den in keiner Weise schichtenspezifisch oder folkloristisch geprägten Charakter des Spinds wird die allgemeine Zugänglichkeit der neonazistischen Inhalte sichtbar, aber auch ihre allgemeine Verbreitung. Anstiftung und Bereitschaft zur Gewalt vermag sich neutral zu verkleiden, fast unsichtbar zu machen. Beate Passow arbeitet nicht mit weithin sichtbaren Parolen in Frakturschrift. Erst nach dem zweiten Blick vermag man die Embleme der Parteien zu deuten und ihre aus dem Netz kopierten Texte zu lesen.
Neutral erscheint zunächst auch der Boden, auf dem der Spind steht, wenig auffällig, vielleicht Linoleum in einem Umkleideraum. Diese Einschätzung wird bei näherer Betrachtung zweifelhaft. Die Fotos dieser Serie sind ja keineswegs stark farbig gehalten. Im Weiss-Grau-Schwarz dieser Flächen fallen die wenigen farbigen Stellen auf. Farbig sind: das Partei-Logo, die goldenen Europa-Sterne, gewisse Partien mancher Masken, der rote Sockelstreifen rechts unter den Köpfen und schließlich der Boden, der, so betrachtet, wie man mit Entsetzen gewahr wird, aussieht, als ob Blut auf ihm geflossen und aufgewischt worden wäre.
Die Köpfe der Macht haben, zur Masse gehäuft, in einer Zeit, in der, nach jahrhundertelangem und immer noch gegenwärtigem Missbrauch, Aufsockelung einzelner in der Tat nicht mehr angezeigt ist, nun doch ihren blutigen Sockel erhalten. Das ist zwar nur angedeutet. Der wässrig-rötliche Schlachthausboden verdichtet sich, rechts deutlich erkennbar, im Hintergrund zu einem ausgefransten, flammend roten Streifen. Sichtbar gemacht wird der historische und sachliche Inhalt dessen, was scheinbar neutral, unangreifbar, unpolitisch die Wirklichkeit, unsere Wirklichkeit, die Wirklichkeit von Alltag, Dienstleistung, Tagesordnung, Internet, Kunstförderung, Liebe zur Kunst mitbestimmt: der Missbrauch der Macht. Dass Kunst sich in den Dienst an diesem Machtmissbrauch zu begeben vermag, ist bekannt. In der Arbeit WHITE PRIDE wird nicht nochmals die Kontinuität in Arno Brekers Werk aufgewiesen, der, als Professor an der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin, unter der Naziherrschaft viele Staatsaufträge ausführte, dessen heroische Figuren, zusammen mit denen von Josef Thorak, zu einem Inbegriff der Naziskulptur geworden sind und der dann nach dem Krieg sein bildnerisches Werk mit Porträtbüsten alter und neuer Heroen fortsetzte. Diese über Jahrzehnte sich erstreckende Heroisierungs-Leistung von Breker und anderen wird vielmehr als bekannt vorausgesetzt, wenn sich, wie in WHITE PRIDE, die schwierige Frage stellt, wie Kunst sich überhaupt dem Dienst am Missbrauch der Macht entziehen kann: indem sie ihn, ohne Selbstgerechtigkeit und oberlehrerhaften Zeigefinger, dort findet, wo er unauffällig, weil selbstverständlich geworden ist.
Beate Passow sagte einmal: „Daß sich mit Hilfe von Kunst irgend etwas verändern läßt, daran glaube ich nicht. (...) Woran ich allerdings glaube ist das emotionale Potential der Kunstwerke.“ (Kunstforum international, Bd.132, November 1995 - Januar 1996, S.293) Mit diesem keineswegs anspruchslosen Glauben setzt die Künstlerin auf Betrachter, welche die Emotionen, die ihre Kunst weckt, empfinden, sich ihrer aber auch bewußt werden und somit sehen, was hier sichtbar gemacht wird.